Nachfolgend ein Beitrag vom 24.10.2018 von Denecke, jurisPR-ArbR 43/2018 Anm. 3
Leitsatz
Der Arbeitgeber, für den eine zulässige tarifliche Altersgrenzenregelung (hier: § 33 Abs. 1a TVöD) gilt, verstößt gegen das Verbot der Altersdiskriminierung nach § 7 Abs. 1 AGG, § 1 AGG, wenn er die Bewerbung eines Altersrentners um eine ausgeschriebene Stelle unter Hinweis auf dessen Rentnerstatus bereits im Bewerbungsverfahren zurückweist. Die mit der Altersgrenze verbundene unmittelbare Benachteiligung des Bewerbers wegen des Alters ist nicht durch § 10 Satz 3 Nr. 5 AGG gerechtfertigt.
A. Problemstellung
Man sollte meinen, dass gut zwölf Jahre nach Inkrafttreten des AGG insbesondere die Fälle eines Entschädigungsanspruchs wegen Nichteinstellung weniger würden. Mitnichten: Immer wieder tun sich neue Fallkonstellationen auf. So auch hier, wobei die Entscheidung des LArbG Hannover angesichts der individuellen Formulierung des Absageschreibens eine Einzelfallentscheidung darstellen dürfte.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger begehrt eine Entschädigungszahlung nach § 15 Abs. 2 AGG. Im April 2017 hatte die beklagte Stadt als Träger eines Zentrums für Jugendberufshilfe eine Stelle als „Hauswirtschaftliche/r Anleiter/in“ ausgeschrieben. Hierauf bewarb sich der seinerzeit 71-jährige Kläger und wies auf seinen Status als Regel-Altersrentner hin. Mit E-Mail vom 24.05.2017 teilte die Zentrumsleiterin dem Kläger mit, dass auch nach Rücksprache mit dem städtischen Personalamt „keine Rentner eingestellt werden dürfen“ und sandte die Bewerbungsunterlagen an ihn zurück. Nachdem der Kläger schriftlich Entschädigungsansprüche geltend gemacht hatte, teilte ihm der Fachbereich Personal und Organisation der Stadt mit, die in der Absage gewählte Formulierung sei „missverständlich“ und „nicht zutreffend“ und bat, dies zu entschuldigen. Freiwillig erbrachte das Land jedoch keine Zahlung, so dass der Kläger den Klageweg beschritt. Das Arbeitsgericht hatte der Klage stattgegeben.
Die Berufung der Beklagten hatte vor dem LArbG Hannover nur bezüglich der Höhe der Entschädigung Erfolg.
Das Landesarbeitsgericht sah einen nicht gerechtfertigten Verstoß gegen das Verbot der Altersdiskriminierung als gegeben an und hielt eine Entschädigung von einem Bruttomonatsentgelt für angemessen. In der Bezugnahme auf den Rentenbezug des Klägers im Absageschreiben liege eine unmittelbare Benachteiligung i.S.v. § 3 Abs. 1 AGG. Unerheblich sei, dass die Stelle schließlich gar nicht besetzt worden sei. Denn eine ungünstigere Behandlung liege bereits in der Versagung der Chance. Jeder Bewerber habe einen Anspruch auf ein diskriminierungsfreies Bewerbungsverfahren, der unabhängig von dessen Ausgang bestehe.
Die nach § 22 AGG zu vermutende unterschiedliche Behandlung des Klägers wegen des Alters sei nicht nach § 10 AGG zulässig. Die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Beklagte (vgl. hierzu BAG, Urt. v. 23.07.2015 – 6 AZR 457/14 Rn. 37) habe keine Rechtfertigung i.S.v. § 10 AGG dargelegt. Sie könne sich zunächst nicht auf die Altersgrenzenregelung des § 33 Abs. 1a TVöD (VKA) berufen. Diese Tarifvorschrift regele lediglich die nach § 10 Abs. 3 Nr. 5 AGG zulässige (vgl. BAG, Urt. v. 08.12.2010 – 7 AZR 438/09) Beendigung eines Arbeitsverhältnisses. Allerdings hindere sie gerade nicht die Einstellung von Altersrentnern. Erst recht rechtfertige die Tarifvorschrift nicht, dass ein Bewerber gar nicht erst in eine Auswahl mit einbezogen, sondern bereits vorab ausgeschieden werde. Der TVöD kenne keine Höchstaltersgrenzen für die Einstellung von Arbeitnehmern. Arbeitnehmer, die die Regelaltersgrenze vollendet hätten, könnten eingestellt werden, und zwar unabhängig davon, ob sie unmittelbar vorher bei demselben Arbeitgeber beschäftigt waren, wie dies § 33 Abs. 5 TVöD regelt, oder nicht.
Ausnahmsweise dürfe ein Arbeitgeber eine Bewerbung unter Hinweis auf das Alter des Bewerbers ablehnen, sofern es sich um ein Anschlussarbeitsverhältnis handele und das Arbeitsverhältnis aufgrund der (zulässigen) tariflichen Altersgrenze ende. Andernfalls würde der Sinn der tariflichen Altersgrenze konterkariert (vgl. Schlachter in: ErfKomm, 18. Aufl. 2018, § 18 AGG Rn. 12; LArbG Köln, Urt. v. 27.06.2012 – 9 Sa 20/12 Rn. 53).
Soweit die Beklagte sich darauf berufen hatte, zum Erhalt bzw. zum Erreichen einer ausgewogenen Altersstruktur Stellen mit jüngeren Bewerbern nachzubesetzen, ließ das Landesarbeitsgericht dies nicht gelten. Zwar habe die Stadt damit grundsätzlich ein rechtmäßiges Ziel aus dem Bereich „Sozialpolitik“ benannt. Jedoch sei es nicht ausreichend, ein legitimes Ziel i.S.v. § 10 Satz 1 AGG zu benennen. Vielmehr müssten auch die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sein. Dies habe die beklagte Stadt nur pauschal behauptet, nicht aber substantiiert dargelegt (vgl. hierzu auch BAG, Urt. v. 11.08.2016 – 8 AZR 406/14 Rn. 79).
Die angemessene Höhe der Entschädigung beurteilte das Landesarbeitsgericht anders als das Arbeitsgericht. Während dieses noch das Höchstmaß von drei Bruttomonatsentgelten ausgeschöpft hatte, hielt das Landesarbeitsgericht ein Bruttomonatsentgelt für angemessen und verhältnismäßig. Als Hauptgrund führte es an, dass die Stelle für nur neun Monate befristet war. Im konkreten Einzelfall sei die Bemessung mit einem Bruttomonatsentgelt geeignet, einen tatsächlichen und wirksamen rechtlichen Schutz sowie schließlich eine abschreckende Wirkung gegenüber der Beklagten zu gewährleisten.
C. Kontext der Entscheidung
Geht es um eine Benachteiligung wegen des Lebensalters nach den §§ 7 Abs. 1, 1 AGG, ist wegen der zugrunde liegenden Richtlinie 2000/78/EG immer auch der unionsrechtliche Kontext zu beachten.
Aus der Vielzahl der Entscheidungen zur Thematik der Altersdiskriminierung soll nur eine herausgegriffen werden. In der Entscheidung „Age Concern“ (EuGH, Urt. v. 05.03.2009 – C-388/07 Rn. 46) hatte der EuGH eine gesetzliche Regelung für wirksam gehalten, die es dem Arbeitgeber erlaubte, Bewerbungen von Arbeitnehmern zurückzuweisen, die die Altersgrenze überschritten hatten oder demnächst überschreiten würden. Diese Entscheidung spricht dafür, dass ein Arbeitgeber, bei dem eine zulässige tarifliche Altersgrenzenregelung gilt, eine Einstellung eines aufgrund dieser Altersgrenzenregelung ausgeschiedenen Arbeitnehmers abweisen darf, soweit er sich auf die von ihm zulässigerweise verfolgten sozialpolitischen Ziele beruft. Ob diese vorliegen, hat das nationale Gericht zu prüfen (EuGH, Urt. v. 05.03.2009 – C-388/07 Rn. 47). Insoweit ist besondere Sorgfalt bei der substantiierten Darlegung der Angemessenheit und Erforderlichkeit der gewählten Mittel geboten. Allein die pauschale Berufung auf das legitime Ziel i.S.v. § 10 Satz 1 AGG ist hierfür nicht ausreichend (BAG, Urt. v. 11.08.2016 – 8 AZR 406/14 Rn. 79).
Bemerkenswert ist auch der ausdrückliche Hinweis des LArbG Hannover auf die geänderte Rechtsprechung des Achten Senats des BAG. Danach ist die objektive Eignung für die ausgeschriebene Stelle keine Voraussetzung für einen Anspruch nach § 15 Abs. 1 und Abs. 2 AGG (BAG, Urt. v. 11.08.2016 – 8 AZR 406/14 Rn. 89). Begründet wird dies damit, dass § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG den Entschädigungsanspruch für Personen, die „bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden“ wären, nicht ausschließt, sondern lediglich der Höhe nach begrenzt. Die objektive Eignung war im hiesigen Fall jedoch unstreitig. Sie ist jedoch keine „Ausstiegsmöglichkeit“ mehr, wenn eine Entschädigung begehrt wird.
D. Auswirkungen für die Praxis
Diese Entscheidung zeigt einmal mehr, dass man niemals zu viel Sorgfalt bei Stellenbesetzungsverfahren anwenden kann. Es gilt die alte Regel: „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“. Am besten dürfte es sein, die Absage nicht zu begründen, um keine Indizwirkung einer Diskriminierung zu schaffen. Nach dem hiesigen Absageschreiben war es letztlich kaum mehr möglich, die Vermutungswirkung des § 22 AGG zu widerlegen. Auch die spätere E-Mail der Stadt, dass die gewählte Formulierung „missverständlich“ und „nicht zutreffend“ sei, verbunden mit einer Entschuldigung, konnte diesen Fehler nicht mehr korrigieren. Aufgrund der unmittelbaren Diskriminierung führte an einer Entschädigungszahlung kein Weg mehr vorbei.
Nachdem die Revision für die Beklagte zugelassen worden ist, bleibt abzuwarten, ob diese den Rechtsweg angesichts des äußerst sorgfältig begründeten Urteils des Landesarbeitsgerichts überhaupt ausschöpfen möchte – und falls ja, mit welchem Ergebnis.
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