Nachfolgend ein Beitrag vom 18.12.2018 von Viefhues, jurisPR-FamR 25/2018 Anm. 1
Leitsatz
Solange keine konkrete gerichtliche Regelung bzw. ein gerichtlich gebilligter Vergleich hinsichtlich des Umgangsrechts vorliegt, ergibt sich die Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung im Rahmen der Verfahrenskostenhilfe bereits aus dem Anspruch der Beteiligten auf Regelung des Umgangs.
A. Problemstellung
In Umgangs- und Sorgerechtsverfahren stellt sich immer wieder die Frage, unter welchen weiteren Voraussetzungen bei vorhandener Bedürftigkeit Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen ist. Konkret geht es darum, welche Maßstäbe an die vom Gesetz geforderte Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung zu legen sind.
Das OLG Schleswig hat sich mit dieser Fragestellung in einem Verfahren befasst, in dem es wohl um einen vorübergehenden oder dauerhaften Ausschluss des Umgangsrechts geht und die Frage einer fachpsychiatrischen Behandlung des Kindesvaters eine Rolle spielen kann (der genaue Sachverhalt ist dem Beschluss nicht zu entnehmen).
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Das OLG Schleswig hat dem Kindesvater Verfahrenskostenhilfe bewilligt.
Bisher liege keine gerichtliche Entscheidung zu einem vorübergehenden oder dauerhaften Ausschluss des Umgangsrechts vor. Dem Kindesvater stehe ein Anspruch auf Regelung seines Umgangsrechts zu (vgl. BGH, Beschl. v. 13.04.2016 – XII ZB 238/15 Rn. 17 – FamRZ 2016, 1058). Durch die vom Familiengericht zu treffende Entscheidung könne der Kindesvater Gewissheit darüber erlangen, in welcher Weise er sein Recht tatsächlich wahrnehmen dürfe bzw. in welchem zeitlichen Abstand er einen neuen Antrag auf gerichtliche Regelung zu stellen berechtigt sei (vgl. OLG Nürnberg, Beschl. v. 23.03.2001 – 11 WF 697/01 – MDR 2001, 875).
Für die Entscheidung über die Ausgestaltung des Umgangsrechts komme es als solches nicht entscheidend darauf an, ob und mit welchem Erfolg der Kindesvater sich in eine fachpsychiatrische Behandlung begeben habe. Denn der Kindesvater könne sich auch durch die Zustimmung zu „Bedingungen“ für sein Umgangsrecht nicht seiner Ansprüche aus § 1684 BGB begeben.
Das OLG Schleswig macht weiter den Zusammenhang zwischen einer möglichen Gefährdung des Kindeswohls durch eine Durchsetzung von Umgangskontakten gegen den Willen des Kindes deutlich. Eine Gefährdung des Kindeswohls könne sich daraus ergeben, dass bei der Anordnung und ggf. erforderlichen Durchsetzung des Umgangsrechts des Kindesvaters ein nachhaltiger und stabiler Kindeswille missachtet werden müsste. Der Wille des Kindes sei Ausdruck seiner Selbstbestimmung und ein Bindungsindiz, wobei die Bindung und der tatsächlich geäußerte Wille nicht übereinstimmen müssten. Das Persönlichkeitsrecht des Kindes erfordere es, seine Wünsche und Interessen bei der Umgangsregelung zu berücksichtigen (BVerfG, Beschl. v. 25.04.2015 – 1 BvR 3326/14 – FamRZ 2015, 1093; BVerfG, Beschl. v. 27.06.2008 – 1 BvR 311/08 – FamRZ 2008, 1737; OLG Saarbrücken, Beschl. v. 12.07.2010 – 6 UF 32/10 – NJW-RR 2011, 436). Mit zunehmendem Alter komme dem geäußerten Willen des Kindes immer stärkere Bedeutung zu, wobei ab einem Alter von 11 bis 13 Jahren kaum noch die Anordnung eines Umgangs gegen den gefestigten Willen in Betracht komme (BVerfG, Beschl. v. 25.04.2015 – 1 BvR 3326/14; vgl. OLG Stuttgart, Beschl. v. 23.02.2015 – 15 UF 192/13 – FamRZ 2015, 1727).
Allerdings komme dem Willen des Kindes kein absoluter Vorrang zu (OLG Brandenburg, Beschl. v. 21.11.2006 – 10 UF 128/06 – FamRZ 2007, 577). Vielmehr sei dieser gegen die Interessen des Umgangsberechtigten abzuwägen. Typischerweise ergebe sich die Kindeswohlgefährdung bei der Anordnung und Durchsetzung von Umgangskontakt gegen einen nachhaltigen und gefestigten Willen des Kindes daraus, dass das Kind ein Übergehen seiner Willensäußerung als Kontrollverlust bezüglich seiner Person erleben und es seine Selbstwirksamkeitsüberzeugung verlieren würde, was zu psychischen Erkrankungen oder Verhaltensauffälligkeiten des Kindes führen könnte (vgl. BVerfG, Beschl. v. 25.04.2015 – 1 BvR 3326/14 Rn. 21).
Sollte durch die bloße Anhörung des Kindes eine solche Feststellung nicht sicher getroffen werden können, werde ein kinderpsychologisches Sachverständigengutachten einzuholen sein.
Im Rahmen der Amtsermittlung werde zu prüfen sein, ob und in welchem Maß sich aus dem Verhalten des Kindesvaters eine Kindeswohlgefährdung ergibt. Ggf. sei auch hier sachverständige Hilfe in Anspruch zu nehmen.
C. Kontext der Entscheidung
Das OLG Schleswig hat weiter ausgeführt, in Verfahren gemäß § 1684 BGB bestehe eine hinreichende Erfolgsaussicht schon dann, wenn das Familiengericht aufgrund des eingeleiteten Verfahrens den Sachverhalt zu ermitteln hat und ggf. eine Regelung treffen muss und sich nicht darauf beschränken kann, den Antrag ohne weiteres, also ohne jede Ermittlung und ohne jede Anhörung der Beteiligten, zurückzuweisen (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 06.05.2011 – 5 WF 79/11 – FamRZ 2011, 1528; vgl. OLG Stuttgart, Beschl. v. 01.03.2011 – 11 WF 38/11 – FamRZ 2011, 1160). Es sei ausreichend, dass überhaupt eine Regelung zugunsten des Antragstellers mit einiger Wahrscheinlichkeit in Betracht kommt, also ein konkretes Regelungsbedürfnis besteht und der Antrag geeignet ist, die rechtliche und tatsächliche Lage des Antragstellers zu verbessern. Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit sei nicht erforderlich (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 21.08.2015 – 18 WF 97/15 – FamRZ 2016, 250).
Zudem müsse das Familiengericht den Sachverhalt grundsätzlich von Amts wegen (§ 26 FamFG) ermitteln (vgl. BGH, Beschl. v. 13.04.2016 – XII ZB 238/15 – FamRZ 2016, 1058). Die fehlende Erfolgsaussicht einer beantragten Umgangsregelung könne die Ablehnung der Verfahrenskostenhilfe nicht rechtfertigen (OLG Brandenburg, Beschl. v. 24.05.2016 – 13 WF 118/16 – FamRZ 2017, 310; OLG Nürnberg, Beschl. v. 22.07.2015 – 11 WF 700/15 – FamRZ 2016, 251).
D. Auswirkungen für die Praxis
Folgt man generell der Auslegung einiger Oberlandesgerichte, dass die fehlende Erfolgsaussicht einer beantragten Umgangsregelung die Ablehnung der Verfahrenskostenhilfe nicht rechtfertigen kann, so verzichtet man auf jegliche Sperre gegen völlig aussichtslose Umgangsverfahren. Folge ist, dass bereits die Antragstellung eine Bewilligung der Verfahrenskostenhilfe zwingend nach sich zieht. Dieser Automatismus führt nicht nur zu einem „Selbstbedienungseffekt“ für den Antragsteller im Hinblick auf die ihm zu erstattenden Verfahrenskosten, sondern auch zur Belastung der Gerichte und der übrigen Verfahrensbeteiligten durch ein von vorneherein erfolgloses Verfahren.
Übersehen wird dabei auch, dass in diesen Fällen der Verfahrensgegner aufgrund der späteren Kostenentscheidung (Aufhebung der Kosten) immer mit der Hälfte der – nicht unbeträchtlichen – Verfahrenskosten belastet wird. Da auch bei der Entscheidung über die Verfahrenskostenhilfe für einen Antragsteller die ebenfalls schutzwürdigen Interessen des mit dem Verfahren überzogenen Antragsgegners nicht völlig übersehen werden dürfen, ist der eingangs zitierte Satz nicht in dieser Allgemeinheit zu akzeptieren. Für Verfahren, die von vorneherein offensichtlich aussichtslos sind, ist daher keine Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen.
E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Das OLG Schleswig hat weiter darauf hingewiesen, dass im Rahmen des Hauptsacheverfahrens die Kindeseltern persönlich anzuhören (§ 160 FamFG) und ein Verfahrensbeistand zu bestellen ist (§ 158 Abs. 2 Nr. 5 FamFG).
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