Nachfolgend ein Beitrag vom 4.12.2018 von (Thode, jurisPR-PrivBauR 12/2018 Anm. 3)

Leitsätze

1. § 476 BGB ist richtlinienkonform dahin auszulegen, dass die dort vorgesehene Beweislastumkehr zugunsten des Käufers schon dann greift, wenn diesem der Nachweis gelingt, dass sich innerhalb von sechs Monaten ab Gefahrübergang ein mangelhafter Zustand (eine Mangelerscheinung) gezeigt hat, der – unterstellt, er hätte seine Ursache in einem dem Verkäufer zuzurechnenden Umstand – dessen Haftung wegen Abweichung von der geschuldeten Beschaffenheit begründen würde. Dagegen muss der Käufer weder darlegen und nachweisen, auf welche Ursache dieser Zustand zurückzuführen ist, noch dass diese in den Verantwortungsbereich des Verkäufers fällt (im Anschluss an EuGH, Urt. v. 04.06.2015 – C-497/13 – NJW 2015, 2237 Rn. 70 – Faber; Änderung der bisherigen Senatsrechtsprechung; vgl. BGH, Urt. v. 02.06.2004 – VIII ZR 329/03 – BGHZ 159, 215, 217 f. „Zahnriemen“; BGH, Urt. v. 14.09.2005 – VIII ZR 363/04 – NJW 2005, 3490 unter II 1 b bb (1) „Karosserieschaden“; BGH, Urt. v. 23.11.2005 – VIII ZR 43/05 – NJW 2006, 434 Rn. 20 f. „Turbolader“; BGH, Urt. v. 18.07.2007 – VIII ZR 259/06 – NJW 2007, 2621 Rn. 15 „defekte Zylinderkopfdichtung“).
2. Weiter ist § 476 BGB richtlinienkonform dahin auszulegen, dass dem Käufer die dort geregelte Vermutungswirkung auch dahin zugutekommt, dass der binnen sechs Monaten nach Gefahrübergang zu Tage getretene mangelhafte Zustand zumindest im Ansatz schon bei Gefahrübergang vorgelegen hat (im Anschluss an EuGH, Urt. v. 04.06.2015 – C-497/13 Rn. 72 „Faber“; Aufgabe der bisherigen Senatsrechtsprechung; vgl. BGH, Urt. v. 02.06.2004 – VIII ZR 329/03; BGH, Urt. v. 22.11.2004 – VIII ZR 21/04 – NJW 2005, 283 unter [II] 2; BGH, Urt. v. 14.09.2005 – VIII ZR 363/04; BGH, Urt. v. 23.11.2005 – VIII ZR 43/05 Rn. 21; BGH, Urt. v. 21.12.2005 – VIII ZR 49/05 – NJW 2006, 1195 Rn. 13 „Katalysator“; BGH, Urt. v. 29.03.2006 – VIII ZR 173/05 – BGHZ 167, 40 Rn. 21, 32 „Sommerekzem I“; BGH, Urt. v. 15.01.2014 – VIII ZR 70/13 – BGHZ 200, 1 Rn. 20 „Fesselträgerschenkelschaden“).

A. Problemstellung

Die als zwingende Regelung nach § 475 Abs. 1 BGB in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung (seit 01.01.2018 = § 476 Abs. 1 BGB) ausgestaltete Vermutungsregelung des § 476 BGB a.F. (seit 01.01.2018 = § 477 BGB n.F.) ist von zentraler Bedeutung für den Verbraucherschutz im Recht des Verbrauchergüterkaufs.
Nach den bis zur neuesten Grundsatzentscheidung des BGH maßgeblichen Grundsätzen war die sachliche Reichweite der Vermutung begrenzt (vgl. etwa Lorenz in: MünchKomm BGB, 7. Aufl. 2016, § 476 BGB, Rn. 4). Die Regelung begründete lediglich in zeitlicher Hinsicht die Vermutung, dass ein unstreitiger oder durch den Käufer nachgewiesener Sachmangel bereits zur Zeit des Gefahrübergangs vorhanden war. Danach erstreckte sich die Vermutung nicht auf den Sachmangel, so dass der Verbraucher nach § 363 BGB nachweisen musste, dass der Mangel bei Gefahrübergang vorgelegen hat. Diese restriktive Auslegung hatte zur Folge, dass der Verbraucher hinsichtlich der wesentlichen Voraussetzung einer Gewährleistung durch den Verkäufer, der Existenz des Sachmangels zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs, durch die Vermutungsregelung nicht geschützt war.
Mit seiner Grundsatzentscheidung hat der BGH seine restriktive Auslegung des § 476 BGB a.F. (= § 477 BGB n.F.) aufgegeben. Die Auswirkungen der mit dieser Entscheidung bewirkten grundlegenden Änderung der Auslegung sind in den beiden Leitsätzen wiedergegeben.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der BGH hatte einen Sachverhalt zu entscheiden, für den die Ausführungen des EuGH zur Auslegung des Art. 5 Abs. 3 RL 1999/44/EG relevant sind: Der Kläger, ein Verbraucher, erwarb im März 2010 von einer Fahrzeughändlerin einen Gebrauchtwagen. Innerhalb von sechs Monaten nach Gefahrübergang trat erstmals ein Defekt des Automatikgetriebes auf. Das Getriebe schaltete in der Einstellung D nicht mehr in den Leerlauf. Ein Anfahren oder Rückwärtsfahren bei Steigungen war nicht mehr möglich. Nach erfolgloser Fristsetzung zur Mängelbeseitigung erklärte der Kläger den Rücktritt vom Kaufvertrag. Mit seiner Klage verfolgt er die Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs sowie Schadensersatz.
Das LG Frankfurt (Urt. v. 27.05.2013 – 2-18 O 443/10) hat die Klage mit folgender Begründung abgewiesen: Der Kläger habe die ihm im Rahmen des § 476 BGB a.F. (= § 477 BGB n.F.) obliegenden Nachweise nicht erbracht, dass das Fahrzeug bei Übergabe einen Sachmangel aufgewiesen habe. Nach Aussagen des Sachverständigen kämen als Vorschädigung Mikrorisse oder ein Bedienungsfehler in Betracht. Die auf den Vertrag anwendbare Vorschrift des § 476 BGB a.F. (= § 477 BGB n.F.) setze nach der Rechtsprechung des BGH voraus, dass ein Sachmangel gegeben sei. Die Vermutungsregelung wirke nur in zeitlicher Hinsicht, dass ein Mangel im Zeitpunkt des Gefahrübergangs vorhanden gewesen sei.
Die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg. Das OLG Frankfurt hat die Berufung des Klägers mit Urteil vom 14.04.2015 (10 U 133/13) zurückgewiesen. Die Revision des Klägers führte zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Der BGH stellt fest, dass mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung die mit der Klage verfolgten Ansprüche nicht verneint werden können. Die vom Berufungsgericht vorgenommene Beweislastverteilung, die im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des Senats steht, ist mit den Erwägungen des zwischenzeitlich ergangenen Urteils des EuGH (Urt. v. 04.06.2015 – C-497/13 – NJW 2015, 2237 „Frouke Faber ./. Autobedrijf Hazet Ochten BV“ m. Anm. Lorenz, LMK 2015, 370162; EuZW 2015, 560 m. Anm. Rott; Koch, NJW 2017, 1068) zur Auslegung des Art. 5 Abs. 3 RL 1999/44/EG unvereinbar.
Nach einer ausführlichen Darstellung seiner bisherigen Rechtsprechung zu § 476 BGB a.F. (= § 477 BGB n.F.) führt der BGH aus, dass es geboten sei, § 476 BGB a.F. (= § 477 BGB n.F.) im Hinblick auf die Auslegung des Art. 5 Abs. 3 RL 1999/44/EG durch den EuGH entsprechend den Vorgaben des EuGH richtlinienkonform auszulegen.
Der EuGH hat entschieden, dass Art. 5 Abs. 3 RL 1999/44 „dahin auszulegen ist, dass die Regel, wonach vermutet wird, dass die Vertragswidrigkeit bereits zum Zeitpunkt der Lieferung des Gutes bestand,
• zur Anwendung gelangt, wenn der Verbraucher den Beweis erbringt, dass das verkaufte Gut nicht vertragsgemäß ist und dass die fragliche Vertragswidrigkeit binnen sechs Monaten nach der Lieferung des Gutes offenbar geworden ist, d.h., sich ihr Vorliegen tatsächlich herausgestellt hat. Der Verbraucher muss weder den Grund der Vertragswidrigkeit noch den Umstand beweisen, dass deren Ursprung dem Verkäufer zuzurechnen ist;
• von der Anwendung nur dadurch ausgeschlossen werden kann, dass der Verkäufer rechtlich hinreichend nachweist, dass der Grund oder Ursprung der Vertragswidrigkeit in einem Umstand liegt, der nach der Lieferung des Gutes eingetreten ist.“
Der erste Punkt betrifft die Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast des Käufers hinsichtlich des Sachmangels als Voraussetzung der Vermutungswirkung des § 476 BGB a.F. (= § 477 BGB n.F.). Nach der bisherigen Rechtsprechung setzt die Vermutungswirkung des § 476 BGB a.F. (= § 477 BGB n.F.) voraus, dass der Käufer darlegt und ggf. beweist, dass ein Sachmangel i.S.d. § 434 Abs. BGB vorliegt, und dieser binnen sechs Monaten ab Gefahrübergang aufgetreten ist.
Aufgrund der Vorgaben des EuGH sah der BGH sich veranlasst, seine bisherige Auslegung dahingehend zugunsten des Käufers zu ändern, dass die Vermutung des § 476 BGB a.F. (= § 477 BGB n.F.) schon dann eingreift, „wenn dem Käufer der Nachweis gelingt, dass sich innerhalb von sechs Monaten ab Gefahrübergang ein mangelhafter Zustand (eine Mangelerscheinung) gezeigt hat, der – unterstellt, er hätte seine Ursache in einem dem Verkäufer zuzurechnenden Umstand – dessen Haftung wegen Abweichung von der geschuldeten Beschaffenheit (§ 434 Abs. 1 BGB) begründen würde. Dagegen muss der Käufer weder darlegen und nachweisen, auf welche Ursache dieser Zustand zurückzuführen ist, noch dass diese in den Verantwortungsbereich des Verkäufers fällt“ (Leitsatz 1; Rn. 36).
Im Hinblick auf die Vorgaben des EuGH hat der BGH die Reichweite der Vermutung im Wege der richtlinienkonformen Auslegung des § 476 BGB a.F. (= § 477 BGB n.F.) um eine sachliche Komponente erweitert. „Im Einklang mit dem vom EuGH Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie zugesprochenen Inhalt kommt dem Verbraucher die Vermutungswirkung des § 476 BGB a.F. (= § 477 BGB n.F.) auch dahin zugute, dass der binnen sechs Monaten nach Gefahrübergang zu Tage getretene mangelhafte Zustand zumindest im Ansatz schon bei Gefahrübergang vorgelegen hat (Leitsatz 2). Damit wird der Käufer – anders als bisher von der Senatsrechtsprechung gefordert (….) – des Nachweises enthoben, dass ein erwiesenermaßen erst nach Gefahrübergang eingetretener akuter Mangel seine Ursache in einem latenten Mangel hat.“ (Rn. 46).
§ 476 BGB a.F. (= § 477 BGB n.F.) mit seinem richtlinienkonformen Auslegungsinhalt gilt nicht nur für die von der RL 1999/44/EG erfassten Nacherfüllungsansprüche und Gewährleistungsrechte des Rücktritts und der Minderung, sondern auch für Schadensersatzansprüche gemäß § 437 Nr. 3 BGB, die nicht Gegenstand der Richtlinie sind. Die Vermutungsregelung des § 476 BGB a.F. (= § 477 BGB n.F.) ist aufgrund der überschießenden Umsetzung der RL 1999/44/EG auch auf alle in § 437 BGB geregelten Mängelrechte des Verbrauchers anwendbar.
Die richtlinienkonforme Auslegung des § 476 BGB a.F. (= § 477 BGB n.F.) hat zur Folge, dass die Beweislast im Vergleich zu der bisherigen Auslegung des § 476 BGB a.F. (= § 477 BGB n.F.) zulasten des Verkäufers verschoben wird. Der Verkäufer muss beweisen, dass die Vermutung nicht zutrifft, es habe bereits bei Gefahrübergang ein Sachmangel jedenfalls im Ansatz vorgelegen, wenn ein vertragswidriger Zustand binnen sechs Monaten nach Gefahrübergang eingetreten ist. Er hat darzulegen und nachzuweisen, dass zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs noch kein Sachmangel vorhanden war. Gelingt dem Verkäufer dieser Nachweis nicht, greift zugunsten des Käufers die Vermutung des § 476 BGB a.F.(= § 477 BGB n.F.) auch dann ein, wenn die Ursache für den mangelhaften Zustand oder der Zeitpunkt, zu dem sie aufgetreten ist, offengeblieben ist und damit ungeklärt bleibt, ob ein Sachmangel i.S.d. § 434 Abs. 1 BGB vorlag (Rn. 55).
Das Beweismaß und die Beweiswürdigung richten sich nach den Prozessvorschriften des jeweiligen Mitgliedsstaats. Nach den maßgeblichen autonomen Regelungen des deutschen Verfahrensrechts kann der Verkäufer die Vermutung nur durch den vollen Beweis des Gegenteils der vermuteten Tatsachen widerlegen (§ 292 ZPO).
Dem Verkäufer können in Fällen, in denen der Käufer zumindest fahrlässig dem Verkäufer die Beweisführung erschwert oder sie vereitelt, Beweiserleichterungen bis zu einer Beweislastumkehr zugutekommen. In Einzelfällen kann es geboten sein, dem Käufer nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungs- und Beweislast aufzugeben, zu seinem Umgang mit der Sache vorzutragen.

C. Kontext der Entscheidung

Durch die Grundsatzentscheidung des BGH ist die bisherige Rechtsprechung zur Auslegung des § 476 BGB a.F. (= § 477 BGB n.F.) weitgehend obsolet. Das Ausmaß der grundlegenden Änderung der Rechtsprechung wird anschaulich dokumentiert durch den Verlauf des Verfahrens, das mit der Grundsatzentscheidung endete.
Das LG Frankfurt (Urt. v. 27.05.2013 – 2-18 O 443/10) und das Berufungsgericht (OLG Frankfurt, Urt. v. 14.04.2015 – 10 U 133/13) haben den Sacherhalt auf der Grundlage der bisherigen Auslegungsgrundsätze des BGH zutreffend gewürdigt und die Klage des Verbrauchers mit der Begründung abgewiesen, er habe nicht nachgewiesen, dass ein Mangel bereits bei Gefahrübergang vorgelegen habe. Mit dieser Begründung konnte des Urteil des Berufungsgericht im Hinblick auf die Entscheidung des EuGH (Urt. v. 04.06.2015 – C-497/13 – NJW 2015, 2237 „Frouke Faber ./. Autobedrijf Hazet Ochten BV“ m. Anm. Lorenz, LMK 2015, 370162; EuZW 2015, 560 m. Anm. Rott; Koch, NJW 2017, 1068: zu Art. 5. Abs. 3 RL 1999/44/EG) keinen Bestand haben.
Der BGH, der die für seine Entscheidungen erforderliche Auslegung der RL 1999/44/EG dem EuGH unter Verstoß gegen seine Vorlagepflicht nicht im Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV vorgelegt hat, war aufgrund dieser Entscheidung des EuGH nunmehr genötigt, seine bisherige restriktive Rechtsprechung zur sachlichen Reichweite der Vermutung grundlegend zu ändern (vgl. zur Rspr. vor Oktober 2016 und nach Oktober 2016 i.E. Ball in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 8. Aufl. 2017, § 477 1. Überarbeitung, § 477 Rn.12 bis 33). Der BGH hat die sachliche Reichweite der Vermutung im Vergleich seiner bisherigen Rechtsprechung mit erheblichen Folgen für das deutsche Recht ausgeweitet.
Nach der bisherigen ständigen Rechtsprechung des BGH, die im Schrifttum auf eine vielfältige Kritik gestoßen ist (vgl. die Nachw. bei Lorenz, LMK 2015, 37015; Lorenz in: MünchKomm BGB, 7. Aufl. 2016, § 476 BGB, Rn. 4; Ball in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 8. Aufl. 2017, § 477 1. Überarbeitung, § 477 Rn. 14 Fn. 9) begründete die Regelung lediglich eine Vermutung in zeitlicher Hinsicht:
Es wurde widerleglich vermutet, dass der unstreitige oder vom Käufer bewiesene Mangel, der im Zeitpunkt des Gefahrübergangs einen Sachmangel i.S.v. § 434 BGB sein würde, bei Gefahrübergang vorhanden war. Die Vermutungsregelung des § 476 BGB a.F. (= § 477 BGB n.F.) erstreckte sich nicht auf die Frage, ob ein Sachmangel der Kaufsache vorliegt. Trat ein Sachmangel nachweislich bzw. unstreitig erst nach Gefahrübergang auf, dann war die Vermutungsregelung des § 476 BGB a.F. (= § 477 BGB n.F.) nicht anwendbar. Der Verbraucher musste in dieser Lage den Nachweis führen, dass ein Umstand vor Gefahrübergang bestand, der im Zeitpunkt des Gefahrübergangs einen Sachmangel dargestellt hätte.
Kamen mehrere Ursachen für einen Mangel in Betracht, von denen nur einer die vertragswidrige Beschaffenheit begründete, die andere hingegen nicht, und war es nicht aufklärbar, welche der Ursachen den Mangel herbeigeführt hatte, dann war die Vermutungsregel nicht anwendbar.
Diese Rechtsprechung hat der BGH aufgegeben und sich der Entscheidung des EuGH (Urt. v. 04.06.2015 – C-497/13 m. Anm. Lorenz, LMK 2015, 370162; EuZW 2015, 560 m. Anm. Rott; Koch, NJW 2017, 1068) angeschlossen, die auf Vorlage eines niederländischen Berufungsgerichts im Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV ergangen ist.
Der Entscheidung des EuGH liegt folgender Fall zugrunde: Der von der Klägerin bei einem Autohaus gekaufte Gebrauchtwagen fing vier Monate nach der Übergabe aus ungeklärten Gründen während der Fahrt Feuer und brannte vollständig aus. Die Klägerin machte gegen die Verkäuferin Gewährleistungsansprüche geltend.
Gegenstand der Auslegung des EuGH sind Art. 3 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 3 RL 1999/44/EG. Nach Art. 3 Abs. 1 RL 1999/44/EG haftet der Verkäufer dem Verbraucher für jede Vertragswidrigkeit, die zum Zeitpunkt der Lieferung des Verbrauchsgutes besteht. Nach Art. 5 Abs. 3 RL 1999/44/EG wird vermutet, dass Vertragswidrigkeiten, die binnen sechs Monaten nach der Lieferung des Gutes offenbar auftreten, bereits zum Zeitpunkt der Lieferung bestanden, es sei denn, diese Vermutung ist mit der Art des Gutes oder der Art der Vertragswidrigkeit unvereinbar.
Der EuGH hatte darüber zu befinden, ob diese Vermutung auch dann anwendbar ist, wenn ein akuter Mangel nachweislich nach dem Zeitpunkt der Lieferung offenbar geworden ist, dessen Ursache und Entstehungszeitpunkt nicht feststellbar ist.
Der EuGH hat entschieden, „dass Art. 5 Abs. 3 RL 1999/44/EG dahin auszulegen ist, dass die Regel, wonach vermutet wird, dass die Vertragswidrigkeit bereits zum Zeitpunkt der Lieferung des Gutes bestand:
• zur Anwendung gelangt, wenn der Verbraucher den Beweis erbringt, dass das verkaufte Gut nicht vertragsgemäß ist und dass die fragliche Vertragswidrigkeit binnen sechs Monaten nach der Lieferung des Guts offenbar geworden ist, das heißt, sich ihr Vorliegen tatsächlich herausgestellt hat. Der Verbraucher muss weder den Grund der Vertragswidrigkeit noch den Umstand beweisen, dass deren Ursprung dem Verkäufer zuzurechnen ist;
• von der Anwendung nur dadurch ausgeschlossen werden kann, dass der Verkäufer rechtlich hinreichend nachweist, dass der Grund oder Ursprung der Vertragswidrigkeit in einem Umstand liegt, der nach der Lieferung des Guts eingetreten ist.“ (Rn. 75)
Nach dieser Auslegung muss der Verbraucher lediglich nachweisen, dass das verkaufte Gut nicht vertragsgemäß und dass die Vertragswidrigkeit binnen sechs Monaten nach der Lieferung des Gutes aufgetreten ist. Er muss lediglich nachweisen, dass die Vertragswidrigkeit vorliegt. Er muss im Unterschied zu der bisherigen Rechtsprechung des BGH nicht den Grund für die Vertragswidrigkeit oder die Zurechnung zu dem Verkäufer nachweisen. Er ist von dem Nachweis befreit, dass die Vertragswidrigkeit bereits zum Zeitpunkt der Lieferung des Gutes bestand.

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Änderung der Rechtsprechung hat das Haftungsrisiko des Verkäufers im Vergleich zur bisherigen Auslegung des § 477 BGB n.F. deutlich erhöht. Die Folgen der richtlinienkonformen Auslegung des § 477 BGB n.F. sind in der Praxis vor allem für die folgenden Fallkonstellationen von Bedeutung, in denen nach der bisherigen Rechtsprechung die Vermutungsregelung nicht anwendbar war (zu den entsprechenden Entscheidungen des BGH nach seiner bisherigen Rspr. vgl. Ball in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 8. Aufl. 2017, § 477 1. Überarbeitung, § 477 Rn. 33):
1. Ein innerhalb der Sechsmonatsfrist zutage getretener mangelhafter Umstand kann alternativ auf einem Sachmangel oder einer unsachgemäßen Behandlung, z.B. auf einem Bedienungsfehler nach Gefahrübergang beruhen. Die Ursache des mangelhaften Umstands bleibt ungeklärt.
2. Ein innerhalb der Sechsmonatsfrist zutage getretener mangelhafter Umstand kann alternativ auf einem akuten Ereignis oder auf einer Vorschädigung, einem Mangel i.S.d. § 434 Abs. 1 BGB, beruhen. Die Ursache des mangelhaften Umstands bleibt ungeklärt.
Die Vermutungsregelung des § 477 BGB n.F. i.V.m. § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB bietet dem Käufer eine Anspruchsgrundlage für Schadensersatzansprüche, die für den Verkäufer ein hohes Schadensrisiko begründet. Zeigt sich binnen sechs Monaten nach Gefahrübergang ein vertragswidriger Umstand, wird nach § 477 BGB n.F. vermutet, dass der Verkäufer mangelhaft geleistet und damit seine vertraglichen Pflichten verletzt hat. Nach § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB wird vermutet, dass er die Pflichtverletzung zu vertreten hat. Wenn es dem Verkäufer nicht gelingt, eine dieser Vermutungen zu widerlegen, dann haftet er auf Schadensersatz, der nach den §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 437 Nr. 3 BGB auch Mangelfolgeschäden umfasst (Faust in: BeckOK BGB, 46. Ed., Stand 01.05.2018, § 477 BGB, Rn. 10).
Die Bedeutung der Vermutungsregelung ist nicht beschränkt auf den Warenabsatz im täglichen Massengeschäft. Für die Baubranche ist sie insofern von erheblicher Bedeutung, als sie auf typische Verträge dieser Branche, auf Kaufverträge mit Montageverpflichtung und auf Verträge nach § 650 Satz 1 BGB, anwendbar ist. Die Vermutungsregelung erstreckt sich bei Kaufverträgen mit Montageverpflichtung (zur Abgrenzung zum Kauf- und Werkvertrag: Busche in: MünchKomm BGB, § 650 BGB, Rn. 7 f.; Lapp in: jurisPK-BGB, § 651 BGB Rn. 35 f.) und bei Verträgen nach § 650 Satz 1 BGB auch auf die Montageleistung (§ 434 Abs. 2 BGB; dazu: Lorenz in: MünchKomm BGB, § 476 BGB, Rn. 7).

Sachmängelhaftung beim Gebrauchtwagenkaufvertrag: Richtlinienkonforme Auslegung der Regelung zur Beweislastumkehr zugunsten des Käufers
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Sachmängelhaftung beim Gebrauchtwagenkaufvertrag: Richtlinienkonforme Auslegung der Regelung zur Beweislastumkehr zugunsten des Käufers
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