Nachfolgend ein Beitrag vom 9.8.2018 von Jahreis, jurisPR-MietR 16/2018 Anm. 6
Leitsatz
Ein Vermieter und Grundstückseigentümer, dem die Gemeinde nicht als Anlieger die allgemeine Räum- und Streupflicht übertragen hat, ist regelmäßig nicht aus dem Mietvertrag gemäß § 535 Abs. 1 BGB verpflichtet, auch über die Grundstücksgrenze hinaus Teile des öffentlichen Gehwegs zu räumen und zu streuen. Entsprechendes gilt für die allgemeine (deliktische) Verkehrssicherungspflicht des Grundstückseigentümers aus § 823 Abs. 1 BGB.
A. Problemstellung
1. Worauf beschränkt sich die dem Vermieter einer Wohnung gegenüber seinen Mietern obliegende Verkehrssicherungspflicht grundsätzlich?
2. Inwiefern können neben dem Vertragspartner andere Personen in den Schutzbereich des Vertrages mit einbezogen werden?
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der BGH als Revisionsinstanz hatte zu entscheiden, ob auf die Revision des Klägers hin das Urteil des Berufungsgerichts aufzuheben oder die Revision zurückzuweisen war.
Der Kläger begehrt von der Beklagten Schadensersatz und ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen sowie die Feststellung der Ersatzpflicht für künftige materielle und immaterielle Schäden aus dem Unfall.
Die Beklagte ist Eigentümerin eines Anwesens in München, in welchem eine Wohnung an die Lebensgefährtin und jetzige Ehefrau des Klägers vermietet war. Am 17.01.2010 stürzte der Kläger vor dem Anwesen der Beklagten aufgrund Schneeglätte und zog sich dadurch Verletzungen zu. Der Streifen des öffentlichen Gehwegs im Bereich des Grundstückseingangs vor dem Anwesen der Beklagten war dabei nicht geräumt. Für den Gehweg nimmt die Stadt München den Räum- und Streudienst wahr, § 12 der Verordnung über die Reinigung und Sicherung der öffentlichen Wege, Straßen und Plätze der Landeshauptstadt München vom 20.12.1990.
Der Gehweg wurde von der Stadt mehrfach geräumt und gestreut, allerdings nicht bis zur Schwelle des unmittelbar an den Gehweg angrenzenden Anwesens der Beklagten. Die Beklagte hatte aufgrund § 12 der Verordnung keine Schneeräumarbeiten vorgenommen.
Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen.
Der BGH hat die Revision ebenfalls zurückgewiesen.
Das Berufungsgericht hat sowohl einen Anspruch wegen Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht nach § 823 Abs. 1 BGB als auch wegen einer Nebenpflichtverletzung aus dem Mietvertrag gemäß den §§ 535 Abs. 1, 280 Abs. 1 BGB als Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter abgelehnt.
Die Verkehrssicherungspflicht für den Gehweg habe der Stadt München oblegen. Auch eine Pflichtverletzung aus dem Mietvertrag liege nicht vor. Die Sicherungspflicht bezüglich des unmittelbaren Zugangs zum Mietobjekt sei im vorliegenden Fall nur auf das Mietgrundstück beschränkt, da außergewöhnliche Umstände, die auch eine zum Grundstück führende öffentliche Verkehrsfläche erfassen, nicht vorlägen. Ansonsten müssten alle Vermieter innerhalb geschlossener Ortschaften ungeachtet der Beschränkung der Räum- und Streupflicht auch die Anschlussstücke zum geräumten und gestreuten Teil des Gehweges selbst räumen. Einem Mieter und dessen Angehörigen sei es grundsätzlich zumutbar, zwischen der Grenze des gesicherten Mietgrundstücks und dem in ausreichender Breite geräumten und gestreuten Streifen auf dem öffentlichen Gehweg einen oder mehrere Schritte auf eigenes Risiko zu unternehmen.
Der BGH ist der Ansicht des Oberlandesgerichts gefolgt und hat die Revision zurückgewiesen.
Das Berufungsgericht habe richtig gesehen, dass die Beklagte nicht verpflichtet war, den nicht geräumten Streifen des Gehwegs im Bereich des Grundstückseingangs zu räumen und zu streuen und daher sowohl die Zahlungs- als auch Feststellungsklage zu Recht abgewiesen.
Vertragliche sowie deliktische Ansprüche scheitern jeweils daran, dass der Beklagten eine Pflichtverletzung nicht zur Last falle. Der Vermieter habe aufgrund seiner vertraglichen Pflichten grundsätzlich nur die auf dem Grundstück befindlichen Wege zu streuen und zu räumen. Gleiches gelte für die dem Vermieter seinen Mietern gegenüber obliegende Verkehrssicherungspflicht. Vorliegend sei die Verkehrssicherungspflicht für den öffentlichen Gehweg vor dem Anwesen allein bei der Stadt München und nicht bei der insoweit vom Winterdienst befreiten Beklagten gelegen. Der Vermieter habe bezüglich des öffentlichen Gehwegs weder eine vertragliche Schutzpflicht übernommen noch eine – eine deliktische Verkehrssicherungspflicht auslösende – Gefahrenquelle geschaffen.
Da im Übrigen der Winterdienst auf öffentlichen Gehwegen sich nicht uneingeschränkt danach auszurichten habe, jedwede Gefahr des Ausgleitens für Fußgänger unter allen Umständen völlig auszuschließen, werde der Fußgänger nicht von der eigenen Verpflichtung enthoben, sorgfältiger als sonst seines Weges zu gehen. Lasse er hierbei nicht die von ihm zu verlangende Sorgfalt walten, verwirkliche sich insoweit sein allgemeines Lebensrisiko. Insbesondere sei es regelmäßig nicht erforderlich, den Gehweg bis zum Gehwegrand (und damit bis zur Grenze des sich daran anschließenden Grundstücks) zu räumen, so dass der Fußgänger im Einzelfall auch eine kurze Distanz auf einem nicht geräumten Teil des Gehwegs zurücklegen müsse.
C. Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung des BGH steht im Zusammenhang mit einigen ähnlichen Entscheidungen zu diesem Thema aus den Vorjahren, was die grundsätzliche Pflicht des Vermieters an der Erhaltung der Mietsache anbelangt.
Danach ist der Vermieter aus dem Mietvertrag heraus verpflichtet, dem Mieter während der Mietzeit den Gebrauch der Mietsache und damit auch den Zugang zur Mietsache zu gewähren (vgl. BGH, Urt. v. 15.06.1988 – VIII ZR 183/87; BGH, Urt. v. 15.10.2008 – VIII ZR 321/07) sowie auch die nicht ausdrücklich mitvermieteten Hausteile wie Zugänge und Treppen in einem verkehrssicheren Zustand zu erhalten (BGH, Urt. v. 19.10.1966 – VIII ZR 93/64; vgl. auch BGH, Urt. v. 10.11.2006 – V ZR 46/06).
Dazu gehört es grundsätzlich, die auf dem Grundstück der vermieteten Wohnung befindlichen Wege, insbesondere vom Hauseingang bis zum öffentlichen Straßenraum in den Wintermonaten zu räumen und zu streuen (vgl. BGH, Urt. v. 22.12.1964 – VI ZR 212/63; BGH, Urt. v. 12.07.1968 – VI ZR 134/67; BGH, Urt. v. 26.01.1977 – VIII ZR 208/75; BGH, Urt. v. 15.06.1988 – VIII ZR 183/87; BGH, Urt. v. 22.01.2008 – VI ZR 126/07).
D. Auswirkungen für die Praxis
Eigentümer von vermieteten Wohnungen können grundsätzlich – wenn keine außergewöhnlichen Umstände vorliegen – von Mietern sowie von Personen, die in den Schutzbereich des Mietvertrages mit einbezogen sind, nicht zum Schadensersatz bei erlittenen Verletzungen aufgrund eines Sturzes bei Glatteis auf dem Gehweg vor dem Grundstück des Vermieters herangezogen werden, wenn die Räum- und Streupflicht der Stadt bzw. Gemeinde obliegt.
Derart außergewöhnlichen Umstände liegen etwa nur dann vor, wenn der Vermieter bezüglich des öffentlichen Gehwegs eine Gefahrenlage geschaffen hat, die eine deliktische Verkehrssicherungspflicht auslösen würden, was jedoch dann nicht der Fall ist, wenn vom Grundstück des Vermieters lediglich ein schmaler Streifen überquert werden muss, um in den geräumten Bereich zu gelangen, also mit entsprechender besonderer Vorsicht allenfalls wenige Schritte zu gehen sind.
E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Der BGH hat im Hinblick auf mögliche vertragliche Schadensersatzansprüche ausgeführt, dass der Kläger als damaliger Lebensgefährte und jetziger Ehemann der Mieterin in den Schutzbereich des zwischen der Beklagten und seiner Ehefrau geschlossenen Mietvertrags miteinbezogen war – es liegt daher ein Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter vor – (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 10.01.1968 – VIII ZR 104/65), so dass grundsätzlich neben deliktischen Ansprüchen wegen Verletzung der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht auch entsprechende vertragliche Schadensersatzansprüche (§ 535 Abs. 1 BGB, § 280 Abs. 1 BGB) in Betracht kommen, welche jedoch aus den oben genannten Gründen ausscheiden.
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