Nachfolgend ein Beitrag vom 11.2.2019 von Jachmann-Michel, jurisPR-SteuerR 6/2019 Anm. 5

Leitsätze

1. Die tarifbegünstigte Veräußerung einer freiberuflichen Einzelpraxis (§ 18 Abs. 3 i.V.m. § 34 EStG) setzt voraus, dass der Steuerpflichtige die wesentlichen vermögensmäßigen Grundlagen entgeltlich und definitiv auf einen anderen überträgt. Hierzu muss der Veräußerer seine freiberufliche Tätigkeit in dem bisherigen örtlichen Wirkungskreis wenigstens für eine gewisse Zeit einstellen (Anschluss an BFH, Urt. v. 10.06.1999 – IV R 11/99 – BFH/NV 1999, 1594; BFH, Urt. v. 29.06.1994 – I R 105/93 – BFH/NV 1995, 109; BFH, Urt. v. 18.05.1994 – I R 109/93 – BFHE 175, 249 – BStBl II 1994, 925).
2. Die „definitive“ Übertragung des Mandantenstamms lässt sich erst nach einem gewissen Zeitablauf abschließend beurteilen. Sie hängt von den objektiven Umständen des Einzelfalls ab, die das Finanzgericht als Tatsacheninstanz zu würdigen hat. Neben der Dauer der Einstellung der freiberuflichen Tätigkeit sind insbesondere die räumliche Entfernung einer wieder aufgenommenen Berufstätigkeit zur veräußerten Praxis, die Vergleichbarkeit der Betätigungen, die Art und Struktur der Mandate, eine zwischenzeitliche Tätigkeit des Veräußerers als Arbeitnehmer oder freier Mitarbeiter des Erwerbers sowie die Nutzungsdauer des erworbenen Praxiswerts zu berücksichtigen.

A. Problemstellung

Zu entscheiden war, ob die Wiederaufnahme der freiberuflichen Tätigkeit dem Vorliegen einer tarifbegünstigten Veräußerung einer freiberuflichen Einzelpraxis (§ 18 Abs. 3 i.V.m. § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 2 sowie § 34 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 EStG) entgegensteht.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Kläger ist Steuerberater und übte seine freiberufliche Tätigkeit seit dem Jahr 2003 in einer Einzelpraxis aus. Im Streitjahr 2008 veräußerte er diese an eine in derselben Stadt ansässige S-KG. Gegenstand des Kaufvertrags war neben dem mobilen Praxisinventar auch der gesamte Mandantenstamm des Klägers. Der Kläger verpflichtete sich, an der Mandatsüberleitung mitzuwirken und darüber hinaus neue Mandate für die S-KG zu akquirieren. Sämtliche Lieferungs- und Leistungsverträge sowie die Rechte und Pflichten gegenüber den Arbeitnehmern gingen auf die erwerbende S-KG über. Gleichzeitig schloss der Kläger mit der S-KG eine freiberufliche Tätigkeitsvereinbarung, die bis zum 31.12.2010 befristet war. Danach sollte der Kläger seine bisherigen und neu akquirierten Mandanten im Namen und für Rechnung der S-KG beraten. Für 32 Wochenstunden war ein monatliches Pauschalhonorar in Höhe von 5.000 Euro netto sowie eine Umsatzbeteiligung an den Neuakquisitionen vereinbart. Am 09.05.2009 legten der Kläger und die S-KG den endgültigen Kaufpreis für die Steuerberatungskanzlei auf 700.000 Euro fest.

Das Finanzamt ging davon aus, der Gewinn aus der Veräußerung der Steuerberatungskanzlei sei als laufender Gewinn zu erfassen. Denn der Kläger habe – was zum Zeitpunkt der Veräußerung nicht vorhersehbar gewesen sei – seine Tätigkeit für die S-KG zum 28.02.2010 aufgegeben und unter Mitnahme des überwiegenden Teils seiner Mandanten wieder eine Beratungstätigkeit im Rahmen einer Einzelpraxis aufgenommen. Dem entsprechend setzte das Finanzamt die Einkommensteuer des Klägers fest.

Das Finanzgericht hat entschieden, die ursprüngliche Übertragung der wesentlichen Praxisgrundlagen stelle sich im Nachhinein als eine bloße Unterbrechung der bisherigen freiberuflichen Tätigkeit des Klägers dar (FG Düsseldorf, Urt. v. 04.12.2014 – 14 K 2968/09 F – EFG, 2015, 556). Die Revision des Klägers hatte keinen Erfolg.

I. Der Senat bestätigt das Kriterium der Einstellung der freiberuflichen Tätigkeit im bisherigen örtlichen Wirkungskreis für eine gewisse Zeit. Es handelt sich um eine Auslegung des Begriffs der „Veräußerung des Vermögens“ in § 18 Abs. 3 EStG unter Berücksichtigung der besonderen Natur des Wirtschaftsguts Mandantenstamm. Die für die Veräußerung des gesamten Vermögens erforderliche definitive Übertragung des Mandantenstamms kann letztlich nur nach einem gewissen Zeitablauf abschließend beurteilt werden. Dies gilt insbesondere für freiberufliche Tätigkeiten, die in einem besonderen Maß personenbezogen sind und bei denen sich deshalb die persönlichen Beziehungen des Erwerbers zu den bisherigen Mandanten des Veräußerers erst entwickeln bzw. festigen müssen. Dadurch ist der Mandantenstamm ein „flüchtiges“ Wirtschaftsgut, dessen dauerhafte und endgültige Übertragung auf den Erwerber verhindert werden kann, indem der Veräußerer seine freiberufliche Tätigkeit fortführt bzw. wieder aufnimmt. Dies gilt unabhängig davon, dass es in jedem Fall die Entscheidung der Mandanten bleibt, von wem sie sich weiter beraten lassen.

Nimmt der Veräußerer seine freiberufliche Tätigkeit nach einer gewissen Zeit wieder auf, kann dies im Übrigen auch dann schädlich sein, wenn die Wiederaufnahme zum Zeitpunkt der Übertragung der Praxis nicht geplant war. Maßgebend ist allein, ob es objektiv zu einer definitiven Übertragung der wesentlichen Praxisgrundlagen gekommen ist. Daran kann es allein durch die tatsächliche Wiederaufnahme der freiberuflichen Tätigkeit fehlen, auch wenn diese ursprünglich nicht geplant war. Maßnahmen des Veräußerers, die wegen einer von Anfang an geplanten Wiederaufnahme dazu dienen sollen, die spätere Zurückgewinnung der Mandanten zu erleichtern, können eine definitive Übertragung des Mandantenstamms von vornherein ausschließen bzw. die erforderliche Zeitspanne für die Einstellung der Tätigkeit verlängern.

II. Die Würdigung des Finanzgerichts, im Streitfall sei es wegen der Wiedereröffnung der Einzelpraxis nach 22 Monaten nicht zu einer definitiven Übertragung des Mandantenstamms auf den Erwerber und damit auch nicht zu einer tarifbegünstigten Praxisveräußerung gekommen, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Das Finanzgericht hat zutreffend berücksichtigt, dass der Kläger seine Einzelpraxis in derselben Stadt mit einem Teil seiner früheren Mitarbeiter wiedereröffnet hat und seine Tätigkeit sowie die Art und Struktur der Mandate gleichgeblieben sind. Darüber hinaus hat das Finanzgericht zutreffend hervorgehoben, dass der Kläger seine früheren Mandanten auch während der 22 Monate bis zur Wiedereröffnung seiner Einzelpraxis als freier Mitarbeiter der S-KG beraten hatte. Zwar war dies für die Verwirklichung des Tatbestands einer Praxisveräußerung grundsätzlich unschädlich. Der fortdauernde Kontakt des Klägers zu seinen bisherigen Mandanten hatte aber zur Folge, dass die definitive Übertragung des Mandantenstamms auf die S-KG im Sinne einer Festigung der persönlichen Mandatsbeziehungen längere Zeit in Anspruch nahm. Jedenfalls unter Berücksichtigung dieser Besonderheit reichte die Zeitspanne von 22 Monaten bis zur Wiedereröffnung der Einzelpraxis im Streitfall nicht aus, um zu einer definitiven Übertragung des Mandantenstamms zu führen.

Dass der Kläger im Streitfall allein deshalb wieder im Rahmen einer Einzelpraxis tätig geworden ist, weil es im Januar 2010 zu einem Zerwürfnis mit der S-KG kam, spielt entgegen der Auffassung des Klägers keine Rolle. Maßgebend ist allein, dass die Zeitspanne von 22 Monaten im konkreten Streitfall nicht ausreichte, um zu einer definitiven Übertragung des Mandantenstamms zu führen. Allerdings sind die Tatbestandsmerkmale des § 18 Abs. 3 EStG – abweichend zur Begründung des Finanzgerichts – nicht nachträglich entfallen, sondern die Verwirklichung des Tatbestands des § 18 Abs. 3 EStG ließ sich erst nach einem gewissen Zeitablauf abschließend beurteilen.

C. Kontext der Entscheidung

Gemäß § 18 Abs. 3 i.V.m. § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG gehört zu den Einkünften aus selbstständiger Arbeit auch der Gewinn aus der Veräußerung des ganzen Vermögens, das der selbständigen Arbeit dient (Praxisveräußerung). Für diesen Veräußerungsgewinn sieht § 34 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Abs. 1 EStG eine Tarifbegünstigung vor.

I. Die Veräußerung einer Praxis setzt voraus, dass der Steuerpflichtige die für die Ausübung der selbstständigen Tätigkeit wesentlichen vermögensmäßigen Grundlagen entgeltlich auf einen anderen überträgt. Hierzu gehören insbesondere die immateriellen Wirtschaftsgüter der Praxis wie Mandantenstamm bzw. Praxiswert.

II. Darüber hinaus muss der Veräußerer seine freiberufliche Tätigkeit in dem bisherigen örtlichen Wirkungskreis wenigstens für eine gewisse Zeit einstellen. Denn bei fortdauernder Tätigkeit des Freiberuflers in seinem bisherigen örtlichen Wirkungskreis liegt eine weitere Nutzung der persönlichen Beziehungen zu den früheren Mandanten auf eigene Rechnung des „Veräußerers“ nahe, und es kommt dadurch nicht zu einer definitiven Übertragung der wesentlichen Betriebsgrundlagen der Praxis auf den Erwerber.
Die „definitive“ Übertragung der wesentlichen Betriebsgrundlagen, insbesondere des Mandantenstamms, hängt letztlich von den Umständen des Einzelfalls ab, die das Finanzgericht als Tatsacheninstanz zu würdigen hat. Neben der Dauer der Einstellung der freiberuflichen Tätigkeit sind insbesondere die räumliche Entfernung einer wieder aufgenommenen Berufstätigkeit zur veräußerten Praxis, die Vergleichbarkeit der Betätigungen, die Art und Struktur der Mandate sowie die Nutzungsdauer des erworbenen Praxiswerts zu berücksichtigen (vgl. BFH, Urt. v. 10.06.1999 – IV R 11/99 – BFH/NV 1999, 1594; BFH, Beschl. v. 07.11.2006 – XI B 177/05 – BFH/NV 2007, 431; BFH, Beschl. v. 01.12.2005 – IV B 69/04 – BFH/NV 2006, 298).

III. Wird der Veräußerer als Arbeitnehmer oder als freier Mitarbeiter im Auftrag und für Rechnung des Erwerbers tätig, ist dies grundsätzlich unschädlich, da der Erwerber trotzdem zivilrechtlich und wirtschaftlich in der Lage ist, die Beziehungen zu den früheren Mandanten des Veräußerers zu verwerten. Zwischen dem Veräußerer und seinen früheren Mandanten bestehen keine Rechtsbeziehungen mehr. Darüber hinaus ist es auch unschädlich, wenn der Steuerpflichtige seine bisherige freiberufliche Tätigkeit nur in einem geringen Umfang fortführt (vgl. BFH, Urt. v. 20.01.2009 – VIII B 58/08 – BFH/NV 2009, 756; zum Streitstand Brandt in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 18 Rn. 324).

D. Auswirkungen für die Praxis

Eine tarifbegünstigte Veräußerung einer freiberuflichen Praxis erfordert die definitive Übertragung aller wesentlichen vermögensmäßigen Grundlagen. Insoweit kann die Wiederaufnahme der freiberuflichen Tätigkeit je nach den – vom Finanzgericht zu würdigenden – Umständen des Einzelfalls schädlich sein, dies auch dann, wenn die Wiederaufnahme zum Zeitpunkt der Übertragung der Praxis nicht geplant war.

Tarifbegünstigte Veräußerung einer freiberuflichen Einzelpraxis
Carsten OehlmannRechtsanwalt
  • Fachanwalt für Steuerrecht
  • Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
  • Fachanwalt für Erbrecht
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Tarifbegünstigte Veräußerung einer freiberuflichen Einzelpraxis
Thomas HansenRechtsanwalt
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